Eine Rezension zur ersten Sonderausstellung »Die weibliche Seite Gottes« im neueröffneten Jüdischen Museum in Frankfurt
»Die weibliche Seite Gottes« heißt die erste Sonderausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt, die dem Publikum schon kurz nach der Neueröffnung des Museums in der vergangenen Woche vorgestellt wurde – eine klar feministische Ausstellung, das passt zur Zeit.
Die Schau will den Spannungsbogen von Kulturgeschichte zu moderner Kunst ziehen, so die Direktorin Mirjam Wenzel bei der Eröffnung. Transkulturelle Vorstellungen weiblicher Gottheit in Judentum, Christentum und Islam sollen vermittelt werden, zwischen Kunst und Ritual – mit spektakulären Exponaten, die dem Publikum leider nicht hinreichend erklärt werden.
Die kulturhistorischen Ausstellungsstücke reichen von bis zu 7000 Jahre alten Figurinen weiblicher Göttinnen aus dem alten Israel über eine Esther-Rolle, die im 16. Jahrhundert von einer jüdischen Frau in Venedig gefertigt wurde, den göttlichen Visionen der Hildegard von Bingen bis zu einer Madonnendarstellung aus dem Mittelalter als übermächtige, gleich einer Göttin thronenden Mutter.
Der Großteil der Exponate sind Werke zeitgenössischer Künstlerinnen, viele davon Installationen. Die Bandbreite der Themen reicht von der Auseinandersetzung mit den Sujets »Eva und die Schlange« und »Lilith« bis zum als Selbstermächtigung bezeichneten Zugriff auf Vorrechte in kultischen Handlungen, die Männern vorbehalten waren.
Das alles ist spannend und faszinierend. Jacqueline Nicholls’ »Maternal Torah« etwa, die aus Elementen eines Toramantels ein Korsett formt. Es schwebt in der Ausstellung zwischen einem klassischen Toramantel aus dem 19. Jahrhundert und Anselm Kiefers Werk »Schechina«. Schechina, die Einwohnung Gottes auf Erden, und Tora sind im Hebräischen weiblich.
Die Frau hat im Judentum eine mächtige Stellung. Sie ist die Hüterin der Tora und die Herrin des Hauses – davon können jüdische Ehemänner seit Jahrtausenden ein Lied singen. Im Talmud Nidda 45b heißt es gar: »Die Frau hat mehr Verstand zugeteilt bekommen als der Mann.« Ohne die Frau als sein Gegenpart ist der Mann unvollständig, »kein Mensch«. Bibel und Talmud sind voll von Erzählungen rebellischer Frauen, die den Männern gehörig aufs Dach stiegen und dafür keineswegs verurteilt wurden.In der Videoinstallation »Yalta’s Beit Midrasch« zertrümmert die Künstlerin Rubi Gat Weinflaschen auf einem Steinhaufen. Jalta, so die Überlieferung, soll auf diese Art erbost auf die ihr nicht erwiesene Ehrerbietung und Anerkennung durch den Gelehrten Ula reagiert haben.
Der Talmud berichtet jedoch nicht nur von ihrer ziellosen Aggression, sondern auch von ihren höhnischen Worten Ula gegenüber: »Wanderer sind voll mit Worten, wie Lappen mit Flöhen.« Respektlos und deutlich waren jüdische Frauen schon vor Hunderten von Jahren.
Frauen sind von gewissen religiösen Pflichten ausgenommen. Der Talmud jedoch berichtet zum Beispiel von Michal, der Tochter Schauls, die wie ein Mann Tefillin anlegte, und vielen Frauen, die im Tempel Opfer darbrachten. Ihr Fortschritt in der Moderne in Sachen Gleichberechtigung im Kultus illustriert in der Ausstellung die Ordinierungsurkunde der ersten deutschen Rabbinerin Regina Jonas aus dem Jahr 1935.
Im Hebräischen gibt es für »Seite« und »Rippe« nur ein Wort, Sela, was in den Übersetzungen für Spielraum sorgt, die Stellung der Frau zu verorten: Mit einer fehlenden Rippe kann man bequem leben, fehlt einem eine ganze Seite, hingegen nicht. Hinzu kommt ein Problem, das der Tanach selbst produziert. Im ersten Kapitel des 1. Buches Mose heißt es: »Gott sprach, lasst uns einen Menschen machen … nach unserer Ähnlichkeit; männlich und weiblich schuf er sie: ein Paar.«
Die Ausstellung suggeriert, es gebe zwei Varianten der Erschaffung des Menschen. Doch nach mehrheitlicher rabbinischer Auffassung ist die Version im zweiten Kapitel des 1. Buches Mose lediglich eine längere Fassung. Demnach teilte Gott den Menschen, nicht den Mann, indem er ihm eine Rippe entnahm: Adam bedeutet Mensch und ist hergeleitet von Adama, Erde. So wurden Mann und Frau erschaffen.
Aus diesen im Frühmittelalter als widersprüchlich angesehenen Darstellungen entstand die mystische Vorstellung einer ersten Frau Adams, der Dämonin Lilith, und Eva als zweiter Frau. Liliths Ungehorsam Gottes Weisung gegenüber, nicht die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu kosten, macht sie in dieser Lesart zur gefährlichen, widerspenstigen Verführerin. Sie wurde später zu einer Ikone der Frauenbewegung.
In »mystisches Mondlicht« ist ein fensterloser Ausstellungsraum zwischen zwei Spiegelwänden getaucht; seltsam kalt wirkt er so mit seinen warmen, kostbaren und berührenden Exponaten. Der in antiker Zeit unerklärliche Mondwechsel wurde in Verbindung gesetzt mit dem weiblichen Zyklus, erläutert eine der Kuratorinnen der Ausstellung.
Ein zentraler Kritikpunkt: Die Exponate sind nur knapp mit Namen und Titel versehen. Im ausliegenden Begleitheft werden sie nur kurz erläutert, Wissen und Verständnis von Überlieferung, Kult und Traditionen dabei voraussetzend. Dadurch bleibt die Ausstellung eine Art Insiderprodukt. Schade, gleichwohl interessant wegen ihrer Qualität. Aber das Jüdische Museum Frankfurt, dieses großartige und jetzt neu gestaltete Haus für alle, sollte sich auch auf seinen Extrapfaden lesbar für alle zeigen.
Der Artikel für die Jüdische Allgemeine erschien am 29.10.2020
https://www.juedische-allgemeine.de/religion/eva-lilith-und-das-mondlicht/